„Ich komme von weit her, aber ich weiß nicht, wohin ich gehe.
Ich komme von weit her, ohne zu wissen, wohin ich gehe.
Ich komme von weit her und habe mein zerschossenes Land durchquert.
Ich komme von weit her, ohne ein klares Ziel zu haben!
Ich brach aus einer brennenden Hauptstadt auf, die ihren Staat verloren hatte.
Ich komme von weit her, ohne Ziel und ohne Ort.
Mein Vater ging in einem Krieg verloren, der so viel Hunger und so viel Durst kennt.
Meine Mutter fand sich allein wieder, umgeben von den Klagen vieler Kinder.
Eines Tages, vor vielen Jahren, floh ich aus meinem Land, das Blut statt Wasser trinkt.
Ich habe in Gefängnissen vieler verschiedener Städte gelebt, alle schmutzig und voller Läuse.
Ich bin durch den brennenden Sand der Wüsten gegangen, dachte an den Tod, doch das Leben wollte mich bei sich behalten. (…)“
Text aus dem Gedicht von Antar Mohamed Marincola, Il Druido di Dublino, in Sotto il cielo di Lampedusa, S. 32–33.
Das Migrationsphänomen in Italien ist eine komplexe und sich stetig wandelnde Realität, die das Land in den letzten Jahrzehnten von einem Auswanderungsland zu einem Ziel- (oder Transit-)Land für Migrantinnen und Migranten aus aller Welt gemacht hat. Unter diesen Menschen befinden sich auch besonders vulnerable Personen: Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen oder Personen in fragilen Lebenssituationen, die Unterstützung benötigen – sei es für einen begrenzten Zeitraum oder lebenslang.
Die Situation in Italien: einige Zahlen zur aktuellen Einordnung
Die neuesten Daten für unser Land (Dossier Statistico Immigrazione 2025 – Centro Studi e Ricerche IDOS) zeichnen ein Bild einer dynamischen Entwicklung. In Italien leben derzeit rund 5.200.000 Menschen mit Migrationshintergrund bzw. ausländischer Staatsangehörigkeit – eine bedeutende und weiter wachsende Bevölkerungsgruppe. Laut ISTAT sind im Zeitraum 2023–2024 etwa 760.000 ausländische Staatsangehörige nach Italien eingewandert, was einem Anstieg von 31,1 % gegenüber dem vorherigen Zweijahreszeitraum entspricht.
Unter den nach Italien kommenden Menschen mit Migrationshintergrund stellen Personen aus anderen europäischen Ländern (EU und Nicht-EU) nahezu die Hälfte der Gesamtzahl. Die andere Hälfte setzt sich vor allem aus Menschen aus Afrika (ca. 22 %) zusammen, wobei die meisten aus Nordafrika und aus Ländern Westafrikas stammen (Nigeria, Niger, Senegal, Benin, Elfenbeinküste, Sierra Leone, Mali …).
Rund ein Viertel der ausländischen Bevölkerung stammt aus asiatischen Ländern (ca. 23 %), während Personen aus Nord-, Mittel- oder Südamerika eine kleinere Gruppe darstellen (ca. 7 %). Darüber hinaus gibt es kleinere Gemeinschaften aus Ozeanien sowie staatenlose Personen, deren Zahl jedoch sehr gering ist.
Betrachtet man die einzelnen Nationalitäten, zeigt sich, dass die rumänische Gemeinschaft die größte ausländische Bevölkerungsgruppe in Italien darstellt, gefolgt von der albanischen und der marokkanischen Gemeinschaft (Daten 2023). Auch die chinesische und die ukrainische Gemeinschaft sind weiterhin stark vertreten. Weitere relevante Gruppen stammen aus Bangladesch, Indien, Ägypten, Pakistan und den Philippinen, sind jedoch zahlenmäßig kleiner. Insgesamt ist ein Wachstum der ausländischen Wohnbevölkerung zu verzeichnen, wenn auch mit regionalen Unterschieden.
Und in unserer Provinz?
Im Jahr 2024 verzeichnete die Provinz Bozen einen weiteren Anstieg der ausländischen Bevölkerung, die mittlerweile mehr als ein Zehntel der Gesamtbevölkerung ausmacht – ein Anteil, der über dem nationalen und regionalen Durchschnitt liegt. Der Zuwachs gegenüber dem Vorjahr ist sowohl auf eine höhere Geburtenzahl als auch auf neue Zuzüge zurückzuführen, während fast zweitausend Personen die italienische Staatsbürgerschaft erhielten.
Unter den in Südtirol lebenden ausländischen Personen gibt es etwas mehr Frauen als Männer, was über dem nationalen Durchschnitt liegt. Die ausländische Bevölkerung ist insgesamt jünger als die italienische: Viele sind unter 45 Jahre alt, und der Anteil an Minderjährigen ist höher. Personen über 65 Jahre sind unter den Ausländerinnen und Ausländern weniger vertreten (6,9 %), jedoch etwas häufiger als im nationalen Durchschnitt.
Im Jahr 2024 stammte der Großteil der ausländischen Bevölkerung in Südtirol aus Europa, gefolgt von Asien, Afrika und Amerika. Die zahlenmäßig größten Gemeinschaften kommen aus Albanien, Deutschland, Pakistan, Rumänien und Marokko. Ende 2024 verfügte ein Großteil der Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger über eine gültige Aufenthaltsgenehmigung, etwa die Hälfte davon über eine langfristige. Bei den befristeten Aufenthaltsgenehmigungen waren familiäre Gründe, internationaler Schutz und Erwerbstätigkeit – insbesondere saisonale Arbeit – die häufigsten Motive.
Unsere Erfahrung als Verein für Sachwalterschaft
Die dargestellten Daten zeigen deutlich, dass die stabile Präsenz von Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Region weiter zunimmt. Diese Entwicklung stellt uns als Einzelpersonen und als Verein vor neue Herausforderungen. In Zukunft wird ein dynamischer, differenzierter und transkultureller Ansatz auch in der Sachwalterschaft immer wichtiger werden.
Es wird notwendig sein, unsere Präsenz und Arbeitsweise weiterzuentwickeln, um der wachsenden Komplexität einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft gerecht zu werden. Dabei geht es nicht darum, Unterschiede lediglich zu „verwalten“, sondern Kulturen als komplexe Systeme zu verstehen, die Bedürfnisse, Prioritäten, Werte, Verhaltensweisen und Beziehungen maßgeblich prägen.
Anlässlich der europäischen Fachtagung in Deutschland („30 Jahre Migration im Betreuungsrecht“, Hannover), an der unser Verein aktiv teilgenommen und eigene Erfahrungen eingebracht hat, entstand die Idee, die Erfahrungen jener zu sammeln, die innerhalb unseres Vereins Menschen und Familien mit Migrationshintergrund begleiten.
Der bestehende Dienst unseres Vereins: Problemlagen, Herausforderungen und neue Perspektiven
Jede neue Kultur, mit der wir arbeiten, stellt eine Herausforderung dar – ein neues Erfahrungsfeld, das es zu verstehen gilt, aber auch eine wertvolle Gelegenheit zur persönlichen und institutionellen Weiterentwicklung. Diese Arbeit erfordert in erster Linie Dialogfähigkeit, die bei der eigenen Haltung beginnt: Menschlichkeit, Offenheit und die Bereitschaft, die Perspektive des Gegenübers zu verstehen, sind grundlegender als rein technische Kompetenzen wie Sprachkenntnisse oder Wissen über Herkunftsländer.
Ohne diese Offenheit besteht die Gefahr, einen zentralen Aspekt aus den Augen zu verlieren: Die Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund ist nicht nur eine unvermeidbare Aufgabe für Gegenwart und Zukunft, sondern auch eine große Bereicherung – für die einzelnen Mitarbeitenden ebenso wie für den gesamten Verein.
Herausforderungen und Schwierigkeiten
Zu den größten Herausforderungen zählt der Aufbau von Vertrauensbeziehungen zu den betreuten Personen und ihren familiären Kontexten – eine Aufgabe, die dadurch erschwert wird, dass Angehörige häufig im Ausland leben. Oft ist es schwierig zu vermitteln, dass die Sachwalterschaft eine Unterstützung und kein Hindernis darstellt. Die Beziehung zu Menschen mit Migrationshintergrund muss von Grund auf aufgebaut werden und erfordert ein hohes Maß an Empathie, Offenheit und persönlichem Engagement.
Besonders herausfordernd sind sprachliche und kulturelle Barrieren, etwa bei der Erklärung von Inhalt, Grenzen und Möglichkeiten der Sachwalterschaft. Auch das Verständnis für psychologische Begleitung oder Beratungsangebote ist oft eingeschränkt oder wird abgelehnt. Ähnlich komplex ist die Vermittlung und Akzeptanz notwendiger medizinischer Behandlungen, die häufig mehr Zeit als üblich erfordert.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist funktionaler oder vollständiger Analphabetismus – bei den betreuten Personen oder deren Angehörigen. Dies macht längere Erklärungszeiten, vereinfachte Sprache und besondere Aufmerksamkeit bei Fristen und Dokumenten erforderlich.
Häufig bestehen zudem wirtschaftliche Schwierigkeiten oder Unsicherheiten im Umgang mit Geld. In diesem Zusammenhang spielen Geldüberweisungen an Angehörige im Herkunftsland eine große Rolle. Es ist oft schwierig zu vermitteln, dass bestimmte Ausgaben für die betreute Person Vorrang haben müssen.
Nicht zuletzt ist auch die Geschlechterfrage ein wichtiger Faktor: Rollenbilder und Beziehungen zwischen Männern und Frauen unterscheiden sich stark je nach kulturellem Kontext und sind geprägt von Geschichte, Religion, Wirtschaft und Traditionen.
Bedarfe und Ressourcen für die Zukunft
Aus dem gemeinsamen Austausch ergibt sich der klare Bedarf an mehr als nur Dolmetschdiensten. Notwendig sind Personen, die als echte kulturelle Brücken fungieren und eine umfassende Mediation ermöglichen – idealerweise Menschen, die sowohl mit der Arbeit unseres Vereins vertraut als auch in mehreren sprachlichen und kulturellen Kontexten verankert sind.
Kulturelle Mediation erweist sich als unverzichtbar, auch wenn Fragen der Finanzierung und Organisation weiterhin offenbleiben. Umso wichtiger wird die enge Zusammenarbeit im Team und mit anderen territorialen Diensten. Bestehende Ressourcen gezielt zu nutzen und neue zu erschließen, wird eine zentrale Aufgabe der kommenden Jahre sein.
Besondere Bedeutung kommt der Kooperation mit Einrichtungen der Aufnahme und Betreuung zu, ebenso wie mit sozialen und pflegerischen Strukturen oder Seniorenwohnheimen, in denen Menschen mit schweren oder chronischen Erkrankungen leben.
Paolo Zambaldi
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